3 Months Later
Nora Schultz & Mirjam Thomann
24. Juli - 25. September 2022
Bild: Richard Najorka
24.7. - 25.9.2022
Eröffnung: 23.7.2022, 19 Uhr
Die Künstlerinnen Nora Schultz und Mirjam Thomann eint ein methodisches Interesse für die materielle, architektonische und kulturelle Beschaffenheit von Räumen. Ihre Skulpturen bleiben der Architektur der Klosterruine nicht äußerlich, sondern intervenieren in ihre Wirkungsweisen und involvieren die Besucher*innen in Prozesse der Positionierung und Re-Orientierung. Schultz wie Thomann aktivieren in ihrer Praxis Räume und kultivieren in der Klosterruine einen Sinn für die Porosität und Bewegtheit dieses historisch wie gegenwärtig resonanten Raums.
Credit: Eric Bell
3 Months Later, Eight Weeks Long
So sehr die Klosterruine ein Ort der Geschichte zu sein scheint, wirkt sie doch zu porös, um einen festen Platz in der Geschichte für sich zu beanspruchen. Ihre ruinöse und leicht romantisierte Theatralik lässt Geschichte eher zu einem Zeichen werden. Was nicht heißen soll, dass Zeit hier nicht von entscheidender Bedeutung ist. 3 Months Later, und es ist Zeit für die Ausstellung. Der Unterschied zwischen jetzt und damals, vor drei Monaten, entspricht dem Moment der Dauer der Ausstellung, in anderen Worten, drei Monate später, acht Wochen lang. Es ist ein Moment, in dem manche Dinge gefunden werden und manche Dinge hervortreten, und die Ununterscheidbarkeit dieser Vorgänge eine Frage der Zeit ist.
Each minute of the day was spent making the same gestures of the arms: lift, swing, deposit, lift swing deposit, tape lift drop and push. He gets lost in himself the same way I do at some point I forget I'm in a vehicle, much less driving. After years of this work he begins to dream of the cans sitting packed away in the vast recesses of the warehouse waiting. He slowly developed the sense that each can contained a life, each breathing in forty-eight rhythms to a carton, thirty-six cartons to a palette, thousands and thousands of palettes. And the combined sounds of all that consciousness waiting and waiting in the stillness of those dim buildings woke him up some nights tangled among the bedsheets laden with sweat. (David Wojnarowicz, Close to the Knives, 28)
Stellen Sie sich vor, Sie nähern sich einem Gebäude, nur dass weder Sie noch das Gebäude jetzt passieren. Mittels ihrer diskreten Ereignishaftigkeit begünstigen die skulpturalen Interventionen von Thomann und Schultz zeiträumliche Koinzidenzen. Garantiert ist das natürlich nicht. Wie bei jeder Begegnung, kann es auch hier eine solche Garantie nicht geben. Es sind Skulpturen, die so nah wie möglich an den Bedingungen ihres Entstehens bleiben, und damit einem notwendigerweise kontingenten Prozess angehören, in dem ein Gebäude ein Ziegelstein ist, der Gefahr läuft, herabzufallen.
Deshalb sind Abstände wichtig, und Mirjam Thomann gibt ihnen ihre Materialität zurück. Ihre Salzziegel fügen dem allgegenwärtigsten aller Materialien in der Klosterruine eine glitzernde Schicht hinzu. Die drei Skulpturen, eine Säule, ein Fenster und eine Stufe, sind Regen und Hitze ausgesetzt und drohen zu zerfallen. So offenbaren sie eine Beziehung zur Zeit, die normalerweise durch unsere begrenzte Wahrnehmung aller vermeintlich in Stein gemeißelten Dinge verborgen bleibt. Salz ist natürlich ein ungewöhnlicher Stein. Als kubisches Kristallsystem schlägt es eine strukturelle Grammatik vor, die über Millionen von Jahren tief im Berg gewachsen ist. Seine fleischfarbene Zartheit evoziert eine körperliche Sensibilität, die ebenso zum Material wie zu den Körpern gehört, die sich diesem nähern. In Pakistan abgebaut, trägt Thomann dem komplizierten Wert der Ziegelsteine Rechnung, indem sie genau 1000 zu einem effizienten Kraftfeld aus Licht, Gewicht und Farbe arrangiert. Thomann schafft ein räumliches Gefüge, das durch die Bedingungen seiner materiellen, körperlichen und institutionellen Produktion akut animiert bleibt. Die lose gestapelten, temporären Anordnungen untermauern eine alternative architektonische Vorstellung jenseits von Totalität und Ewigkeit. Wie üblich vermeidet Thomann das überfüllte Zentrum, betont dessen Leere und widmet sich sich den Rändern, den Rand- und Grenzzonen, in denen Kontakt aufgenommen wird, Differenzen hergestellt und aufwendig aufrechterhalten werden.
Nora Schultz hat mehrere Zugänge zum räumlichen und zeitlichen Gefüge der Klosterruine gewählt. Ihre Werke werden erst durch ihre vorgeschlagene Beziehung zu den Elementen, die sie aufnehmen und übertragen, zu Skulpturen. Eine Glaskonstruktion in einem ehemaligen Fenster fügt dem ansonsten vertikalen Sog des Polygons eine Diagonale hinzu. Daran befestigt ist ein Kontaktmikrofon, das die durch die Umgebungsgeräusche verursachten Schwingungen des Glases aufnimmt und somit verstärkt, was das Glas "hört". Während Schallwellen normalerweise durch Luft übertragen werden, werden sie hier durch die Materialität des Glases vermittelt. Es handelt sich also um einen Klang, der genuin Gewicht hat und der den Unterschied zwischen materiellem und immateriellem Raum für einen Moment unscharf werden lässt. Kieselsteine, die durch eine aufgesetzte dicke Glaslinse vergrößert werden, erinnern an die Findlinge, die als Teil von Manuel Raeders Leitsystem in der Nähe des Eingangs platziert wurden, sowie an die Findlinge, die vor der Klosterruine platziert wurden. Diese Findlinge, deren genaue Herkunft unbekannt ist, vervollständigen eine Reihe von öffentlichen Kunstwerken, die die wechselnden Projektionen auf die Klosterruine protokollieren. Ein einzelner Balken aus geschwärztem Kiefernholz mit dem Titel Lucia's Four Roads wirkt ebenfalls wie ein Findling, allerdings einer anderen Dimension. Obwohl er an ein minimalistisches Artefakt erinnert, manifestiert er in Wirklichkeit eine fortlaufende, diagonale perspektivische Beziehung zum kleineren Original. Die Diagonale erscheint als eine Linie, die sowohl den realen als auch den virtuellen Raum durchquert, eine Gedankenlinie, deren Länge von der Nähe der Ideen und der Dichte von Glas, Holz, Stein und Papier bestimmt wird.
Once, years ago, in a warehouse along the Hudson River, I wrote on an abandoned wall about a man who flew a single-prop airplane out over the ocean until it ran out of gas, and I envied the man so much it hurt. That was years ago; does that mean up until now I have been living on borrowed time? Should I count backwards like the Mayans so that I never get older? Will the moon in the sky listen to my whispers as I count away? (David Wojnarowicz, Close to the Knives, 255)
Stellen Sie sich vor, Sie nähern sich einem Gebäude, aber weder Sie noch das Gebäude passieren jetzt. Nora fragt: Aber wenn sie es nicht jetzt tun, wohin weichen sie aus?
Irgendwo wird es dunkel, und Mirjam zeigt uns ein Bild einer Brancusi-Statue, die jede Nacht behutsam verhüllt wird.
Die Zeit von 3 Months Later ist jetzt und ermöglicht Begegnungen, die eine überdeterminierte Gegenwart durchbrechen. Aber dazwischen und danach sind Schultz' und Thomanns Skulpturen immer noch da, nur woanders. Niemals verleugnen sie die Abwesenheit zugunsten der Anwesenheit, sondern scheinen an einen Raum wimmelnder Materialität gebunden zu sein, ein Raum, der der Gegenwart für immer ausweicht, und den wir manchmal Nacht nannten.
Christopher Weickenmeier
Download Ausstellungspublikation (Englisch)
Nora Schultz entwickelt oft große Installationen, die die Struktur des Veranstaltungsortes einbeziehen und umkodieren und manchmal über seine Grenzen hinausprojizieren. Durch die Arbeit mit Zeitstrukturen, Sprach- und Aufzeichnungssystemen, Alltagsgegenständen und kulturellen Verschiebungen wird der Skulpturbegriff in ihrer Arbeit erweitert. Die Beobachtung und kritische Aktivierung des Raums oder der Struktur, in der ihre Arbeit stattfindet, sind Schlüsselelemente in ihrem Prozess.
Nora Schultz absolvierte ihr Studium an der Städelschule in 2005 und studiere auch zeitweise im MFA Programm des Bard College, NY. Kürzliche Einzelausstellungen beinhalten O-Ton and the O-Ton (O-Town House, LA), Two-Chambered Ears (Galerie Isabella Bortolozzi) (beide 2021), und would you say this is the day? (Secession, Wien, 2019). Sie realisierte Einzelperformances u.a. im Whitney Museum NY und an der Tate Modern, London, und nahm 2017 an den Skulptur Projekten Münster teil. Schultz lebt und arbeitet in Wien, wo sie an der Akademie der Bildenden Künste den Fachbereich Bildhauerei und Installation lehrt.
Mirjam Thomanns Interesse gilt der Reflexion und Überschreitung architektonischer, sozialer und institutioneller Ordnungen mit den Mitteln der Skulptur, Installation und mit Text. In ihren Arbeiten nimmt sie das Vorliegende als Anlass, als Raum und Terrain, das sie erweitert, ergänzt oder kommentiert. Diese Aktivierung des Vorliegenden verbindet sich dabei mit Eigenschaften wie Wiederverwendbarkeit, Kombinierbarkeit und Beweglichkeit von Materialien und Einbauten.
Mirjam Thomann lebt in Berlin und studierte Bildende Kunst an der Kingston University of London und der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Ihre letzte Einzelausstellung „Theory & Action“ war Anfang 2022 in der Galerie Nagel Draxler, Köln zu sehen. Sie nahm zuletzt an Gruppenausstellungen im Kunstraum der Universität Lüneburg, der Galerie Krobath, Wien, bei After the Butcher, Berlin, und der North Coast Art Triennial teil. Sie erhielt Arbeitsstipendien der Akademie der Künste, Berlin, der Stiftung Kunstfond, Bonn, und war Artist in Residence des MAK Schindler Stipendienprogramms in Los Angeles. Sie ist Autorin von Texte zur Kunst und unterrichtet derzeit am Department für Kunst und Musik der Universität zu Köln.
Gefördert aus Mitteln der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, Fonds für Ausstellungsvergütungen, Galerie Isabella Bortolozzi, Galerie Nagel Draxler und dem Bezirkskulturfonds sowie in Kooperation mit visitBerlin.