Unfinished Histories Vol. IX

Laurel Uziell, Lisa Jeschke organisiert von Andrea Garcés, Lotta Thießen für artiCHOKE

Ausstellung

05. Mär - 24. Apr 2021

Für die dritte Episode hat das Kollektiv artiCHOKE Auszüge aus Lisa Jeschkes Gedicht »Immer noch: Wann schafft Deutschland sich endlich ab ??????!!!!!!!!!!!!!/()=%)&/%§&% (/)(/)&/%« und Laurel Uziells jüngstem Buch »T« ausgesucht. Lisa Jeschkes »Immer noch: Wann schafft Deutschland sich endlich ab ??????!!!!!!!!!!!!!/()=%)&/%§&% (/)(/)&/%« drückt die Sehnsucht nach einer Theorie des Übergangs aus und entwirft »Robotermädchen«, die sich gegen die hegemonialen Geschlechtsidentitäten und Pflichten der Reproduktion stellen. Um zu einer zärtlichen Vermehrung von mutierten und unnatürlichen Körpern zu gelangen, schaffen diese ihre vergangene und gegenwärtige Form fröhlich und bereitwillig ab.

In Laurel Uziells jüngstem Buch »T« werden die Unterdrückungen juristischer und sprachlicher Subjektivierungsmechanismen auseinandergenommen, die täglich gegen Transmenschen ausgetragen werden und ihre Körper zu Schauplätzen von Gerichtsprozessen und Medienspektakeln machen.

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Lisa Jeschke ist Dichterin und Performerin und lebt in München, wo sie Mitherausgeberin der chapbook press Materials/Materialien (London/München) ist. Zusammen mit Lucy Beynon hat sie die Stücke David Cameron [A Theatre of Knife Songs] (Shit Valley, 2015), The Tragedy of Theresa May (Tipped Press, 2018) und The Decline and Fall of the Home Office (2018) verfasst. Sie ist auch Autorin von The Anthology of Poems by Drunk Women (Materials, 2018), die in einer erweiterten deutschen Fassung bei Hochroth München (2019) erschienen ist.

Laurel Uziell lebt in London. Uziell veröffentlichte 2019 Instant Cop Death (Shit Valley Press, 2017) und T (Materials, 2019). Uziells Gedichte wurden im Believer Magazine und in Datableed veröffentlicht.

Jeden Tag von 10 bis 20 Uhr wird die Collage beider Texte auf einer 5 Meter langen LED-Anzeige abgespielt. Die Arbeit ist von außen einsehbar.

Immer noch: Wann schafft Deutschland sich endlich ab??????!!!!!!!!!!!!!/()=%)&/%§&%(/)(/)&/%

Lisa Jeschke

 

Warum so Ewigkeit im Diesseits? Warum so keine Theorie
Des Übergangs? Warum keine Theorie? Wo der Horizont?

Das Königreich um uns – immer noch Organ, ein Biomensch.
Und wir?

Und wir?
Wir sind die Robotermädchen.

Roboter schaffen sich gerne ab
Wie sie sind wie sie waren.

Robotern macht das nichts aus.
Roboter sind NEUGIERIG.

Roboter FREUEN SICH.
ROBOTER HABEN GEFÜHLE.

Ich, zum Beispiel, nur ein einfaches Robotermädchen
Unter vielen, würde mich so

Wie ich bin wie ich war, ganz empirisch,
Super-gerne abschaffen,

So wie als eine meiner besten Roboterfreundinnen
Sich vorsichtig und sanft

Auseinandergenommen hat und das sehr schön fand,
Sich und uns dabei zur Beruhigung Fragmente erzählt hat

Darüber, wie es war und wie es sein wird, unablässig
Hart gesprochen hat, zum Beispiel Finger und Zähne

Ausgetauscht hat mit anderen,
Sich mit anderen frisch verbunden hat, die sich auch gerne

Abschaffen wollten, sie haben
Münder neu formiert, die offenlegen,

Wie es war, offenzulegen, wie es war.
Würde sich nur das Königreich,

Das sich um uns, die Roboterproteine,
Herumwindet, auch abschaffen,

Würde sich das Königreich abschaffen,
So wie es ist wie es war,

Könnte es auch endlich Roboter werden,
Und auch in diesem Fall, wie bei meiner Roboterfreundin,

Würde jedes Staubkorn der Geschichte sichtbar bleiben,
Weil, die Abschaffung ist das Gegenteil der Vernichtung,

So würden auch die verstörendsten Details von damals (heute)
Sichtbar bleiben,

Dass Roboter zwar hand-verschimmeln durften,
Sich aber nicht einfach so umbauen konnten, ohne Erlaubnis,

Dass die, die Roboterföten und Roboterembryos
In ihren metallenen Unterleibern trugen, diese

Nicht einfach so ausbauen konnten, ohne Beratung,
Dass das Zusammenbauen von Robotern in gefaltete,

Widersprüchliche, ihre Wunden zeigende leckende
Artifizielle Massensysteme, wenn sie das wollten,

Nicht einfach so vorgenommen werden konnte,
Und dass in vielen Orten am Abend und am Sonntag die

Gehsteige hochgeklappt werden mussten, weil so wenig los
War – haben WIR diesbezüglich jemals Erlaubnis gegeben?

Diese Details aus der Wildnis würden wir immer
Wieder erforschen, nicht nostalgisch,

Sondern um sie zu zerlegen,
Während wir, mit kitschiger Musik im Hintergrund

– So kitschig,
Dass es weh tat –,

Gen Horizont laufen,
Die Roboterpferde an unserer Seite.

 

T
(Auszug, Übersetzung von Lisa Jeschke)

Laurel Uziell

 

Das echte Leben ist echt beschissen: Echtmänner, Echtfrauen, Echtabstraktion, Echtwirtschaft, Echtsozialismus, Echtsex, Echthaar, Echthüftknochen, Echt-TV, Echtverlängerungen unserer Echtglieder, Echtpronomen, Echtzusammenhalt, Echtterror, krasse Echtbedrohungen, Echtinformationen, Echtbegehren, Echtjobs, Echtfamilie, Echtbürger, was richtig Echtes, das Scheinechte, die Echtwelt, in der sich alle echten und alle unechten Dinge Rücken an Rücken echtverklebt gegenüberstehen (Metapher!), geklammert an die Echtheitsermöglichungsgrenzen musst du dich Folgendem aussetzen: Man nennt das Erfahrung, und das ist nichts, was du machst oder hast, sondern das, was dir selbst von dir selbst aufgeladen wird und echt oder unecht ist und deine Schuld und wenn du auch nur einen Moment inne hältst, holt es dich ein und kollabiert in Echtzeit auf deiner Kehle.

Raus,
raus aus der Welt hier
raus aus dem hier dem Körper
hier
raus
in
dieselbe Welt.

Natur machen aus unseren Gefühlen, das Äußere ausschaben.

Ich hab die Schnauze voll davon, so zu tun, als ob es mir was ausmacht, die Schnauze voll davon zu haben, so zu tun, als ob es mir was ausmacht. Wofür? Wir könnten alle den gleichen Namen tragen, mit dem gleichen Haftbefehl verhaftet werden.
Nein zu männlicher Gewalt.
Nein, männliche Gewalt!