Unfinished Histories Vol. VII

Sean Bonney

Ausstellung

04. Dez – 03. Jan 2021

»Ihr seid nicht vollkommen wehrlos«– am Ende seines letzten Buches Our Death zitiert Sean Bonney die anarchistische Gewerkschaftsorganisatorin Lucy Parsons, die von der Chicagoer Polizei einmal als »gefährlicher als tausend Randalierer« bezeichnet wurde. Bonneys Gedichte sind Teil dieser Abwehr. Sie greifen das kostbare, praktische Wissen um Verweigerung und Widerstand auf und tragen es weiter. Sie sind voll notwendiger Giftigkeit, voll auch der Stimmen von verblichenen Genoss*innen und zärtlich gegenüber denen, die noch da sind. Für die Installation haben wir Auszüge aus Bonneys Arbeit Our Death sowie Letters against the Firmament (Enitharmon, 2015) ausgewählt. Beide Bücher äußern eine dringliche Kritik an Rechtsinstituten sowie deren exekutiver Macht und formulieren eine kohärente und historisch verankerte abolitionistische Perspektive auf Gefängnis und Polizei.

Bonneys Letters entstanden größtenteils 2010 während und nach den Studierendenprotesten, die sich gegen umfassende Erhöhungen von Studiengebühren richteten, und der Riots im Jahr 2011, die sich nach der Ermordung von Mark Duggan durch die Metropolitan Police gebildet haben. Die Letters untersuchen den zeitgenössischen Moment durch die Linse der Geschichte jener Kräfte, die uns innerhalb des kapitalistischen Staates und seiner vielfältigen Technologien von Ausbeutung, Abschottung und Strafverfolgung gefangen halten. Dies ist zum Beispiel der Fall bei »Corpus Hermeticum«, das die Verbrennung des italienischen Philosophen und Kosmologen Giordano Bruno im Jahr 1600 mit der Zusammenstellung der Londoner Polizei durch Robert Peel im frühen neunzehnten Jahrhundert und mit der Geschichte des Newgate Prison verknüpft.

Sean Bonney, geboren in Brighton und aufgewachsen im Norden Englands, war Dichter und Wissenschaftler. Er veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände, sieben Bücher und schrieb eine Doktorarbeit zu Amiri Baraka und der US Black Radical Tradition. Gemeinsam mit der Dichterin Frances Kruk gründete Bonney den kleinen Verlag yt communications. Sein Buch Letters Against the Firmament, das eine wichtige Sammlung an poetischer Briefe enthält, die als Reaktion auf die London Riots verfasst wurden, erschien im Jahr 2015. Im gleichen Jahr zog Bonney von London nach Berlin, um eine Postdoktorandenstelle an der Freien Universität anzutreten, in deren Rahmen er über die Arbeit der anarchistischen Dichterin Diane di Prima forschte. Sein letztes Buch, Our Death, erschien 2019. Bonney starb am 13. November 2019. Er war eine nie versiegende Quelle von Wissen, sowohl über linksradikale Theorie – kommunistisch, anarchistisch und antifaschistisch – als auch Poesie. Amiri Baraka, Rimbaud, Katerina Gogou, Baudelaire, Pasolini und Artaud sind Teil dieser Fülle von poetischen Einflüssen und Stimmen, die ihren Weg in sein Werk gefunden haben. Bonney’s Gedichte wurden in viele Sprachen übersetzt, sowohl im Kontext literarischer Institutionen als auch in dem politischer Bewegungen.

Zu den Texten von Bonney geht es hier.

Organisiert von Andrea Garcés, Lotta Thießen für artiCHOKE
Produktionsleitung: Carolina Redondo

artiCHOKE e.V. ist ein Kollektiv von Lyriker*innen und Übersetzer*innen, das sich um 2015 zusammengeschlossen hat, um in Berlin eine Lese- und Publikationsreihe zu organisieren. Von Anfang an widmete es radikaler und militanter Lyrik besondere Aufmerksamkeit und zielte darauf ab, durch die Praxis des Übersetzens internationale Kreuzbestäubungen zu schaffen.